Ohne Pflegepersonal keine altersgerechten Wohnkonzepte
An zukunftsorientierten Pflegekonzepten mangelt es nicht. Nach „Pflegemarkt.com“ entstehen in Deutschland aktuell ca. 15.700 moderne Neubauprojekte im Bereich Pflegeeinrichtungen und Betreutes Wohnen sowie Tagespflege, meist in Kombination mit einem medizinischen Versorgungszentrum. Über 18.000 Projekte befinden sich in Planung.
Gleichzeitig fehlen nach Schätzungen der Bundesregierung zurzeit ca. 35.000 Pflegekräfte. Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft in Köln könnten in Deutschland in der stationären Versorgung bis zum Jahr 2035 rund 307.000 Pflegekräfte fehlen. Die Versorgungslücke im Pflegebereich insgesamt könnte sich dann auf insgesamt 500.000 Fachkräfte vergrößern, wenn dieser wichtige Beruf nicht attraktiver gestaltet wird. Diesem Mangel stehen bis 2030 ca. 3,5 Millionen Pflegebedürftige gegenüber, so die Schätzung der Bundesregierung.TgY6pVyWMyq2z3K
Mit anderen Worten: Die modernsten Seniorenkonzepte nutzen nichts, wenn dafür kein Pflegepersonal zur Verfügung steht. Der Mangel an Pflegepersonal hat sich durch die Coronakrise noch gefährlich verstärkt. In einem Marburger Altenheim sind nach einem Corona-Ausbruch sämtliche Pflegekräfte in Quarantäne. Hier muss jetzt sogar die Bundeswehr die Betreuung der Senioren übernehmen.
Investoren, Projektierer und Betreiber von Pflegeeinrichtungen sollten daher Sorge tragen, dass neben der Fertigstellung der Projekte auch das notwendige Pflegepersonal zur Verfügung steht. Das ist aber einfacher gesagt als getan, weil aktuell keine Pflegekräfte verfügbar sind. Ein Lösungsansatz ist die Gewinnung von qualifiziertem Personal aus dem Ausland.
finanzwelt hat dazu Irina Oljaca, Geschäftsführerin der internationalen Personalagentur Dr. Liesenfeld Consulting GmbH, Köln, befragt, die ein vielversprechendes und zukunftsorientiertes Konzept zur Personalgewinnung von medizinischem Personal im Ausland entwickelt hat. Dabei arbeitet das Unternehmen eng mit der „Deutsche Fachkräfteagentur für Gesundheits- und Pflegeberufe“ (DeFa) und ihrem Geschäftsführer Thorsten Kiefer zusammen; die DeFa wurde im Oktober 2019 als Ergebnis der Beratungen im Rahmen der Konzertierten Aktion Pflege (KAP) der Bundesregierung gegründet.
finanzwelt: Können Sie kurz Ihr Geschäftsmodell erklären?
Oljaca: Wir sind eine internationale Personalberatung und haben uns auf die Gewinnung von medizinischen Berufen auf der ganzen Welt spezialisiert. Dabei liegt unser Schwerpunkt neben der Anwerbung auf der intensiven Betreuung und Integration der Ärzte und Pflegefachkräfte , wenn diese in Deutschland ihre Tätigkeit begonnen haben. Das ist gleichzeitig auch das, was unsere Auftraggeber, große Pflegeeinrichtungen und Kliniken, von uns wünschen: Eine geringe Fluktuation und zufriedene Mitarbeiter. Wir betreuen aktuell über 15 Pflegeeinrichtungen und Kliniken.
finanzwelt: Wie gewinnen Sie neue Pflegekräfte im Ausland ?
Oljaca: Der Flaschenhals bei der Gewinnung von medizinischem Personal aus dem Ausland liegt in der Sprache. Ohne ein gewisses Sprachlevel, das vom Goetheinstitut mit B1 oder B2-Fachsprache bezeichnet wird, können wir eine Pflegefachkraft nicht nach Deutschland vermitteln. Wir haben uns daher auf den Philippinen und Albanien an Sprachschulen beteiligt, die von den potentiellen Pflegekräften und Ärzten besucht werden, um die deutsche Sprache zu erlernen. Nach Abschluss der Sprachprüfung können wir dann den Vermittlungsprozess einleiten. Darüber hinaus haben wir über die Jahre ein erfreuliches Empfehlungsnetz aufgebaut. Dadurch werden wir fast täglich von potentiellen Interessenten aus dem Ausland kontaktiert. Darauf sind wir stolz!
finanzwelt: Warum arbeiten Sie mit der DeFa zusammen?
Oljaca: Die Zusammenarbeit mit der DeFa bietet für uns viele Vorteile: Aufgrund des Kooperationsvertrages bekennen wir uns zu den verantwortungsvollen, ethischen Rahmenbedingungen der Anwerbung im Ausland. Die DeFa prüft für uns alle Möglichkeiten des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes. Durch die Unterstützung und Beschleunigung der notwendigen Antragsverfahren entlastet uns die DeFa und wir können uns auf das Wesentliche konzentrieren: Die Anwerbung und Integration der Fachkräfte in Deutschland.
finanzwelt: Herr Kiefer, Sie sind Geschäftsführer der DeFA, die im Oktober 2019 von der Bundesregierung gegründet wurde und vom Gesundheitsministerium gefördert wird. Welche Aufgaben hat die DeFa und welche Ziele verfolgen Sie?
Kiefer: Die Deutsche Fachkräfteagentur für Gesundheits- und Pflegeberufe (DeFa) ist eine Antwort der Bundesregierung und des Saarlandes als Gesellschafter auf die Herausforderung des Pflegenotstandes in Deutschland. Die DeFa ist für Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und Personalserviceagenturen der Lotse durch die Antragsverfahren. Ziel ist es, anwerbende Einrichtungen und Agenturen bei der Bewältigung der administrativen Voraussetzungen und dem notwendigen Dokumentenmanagement möglichst weitgehend zu entlasten. Das ist Kern unserer Arbeit. Dies verbinden wir mit Aktivitäten zur Sicherung von Qualitätsstandards, insbesondere zu verantwortungsvollen, ethischen Bedingungen im Rahmen der Anwerbung.
finanzwelt: In welchen Bereichen arbeiten Sie mit Personalagenturen wie Liesenfeld Consulting zusammen?
Kiefer: Wir unterstützen einerseits anwerbende Einrichtungen und Agenturen wie Dr. Liesenfeld Consulting durch die Unterlagenvorbereitung und Einreichung der notwendigen Anträge für Berufsanerkennung, Arbeitsmarktzulassung und Einreise der Fachkräfte. Dabei haben wir großes Interesse daran, dass unsere Kooperationspartner seriös und nach unseren sozialen und ethischen Grundsätzen im Ausland anwerben. Dies prüfen wir innerhalb der Bearbeitung auch stichprobenartig nach. Wir freuen uns, dass sich unsere Kooperationspartner vertraglich auf unserem ethischen Kodex verpflichten. Dr. Liesenfeld Consulting bringt sich darüber hinaus aktiv in die Weiterentwicklung unserer Qualitätssicherungssysteme mit ein.
finanzwelt: Frau Oljaca, wo sehen Sie die Schnittstelle zwischen Initiatoren und Investoren von Pflegeprojekten und Ihrem Geschäftsmodell?
Oljaca: Vordergründig sind hier keine Schnittstellen erkennbar. Doch bei näherer Analyse ist eine entscheidende Schnittstelle vorhanden: Ohne Pflegepersonal stehen die schönsten Seniorenanlagen leer, weil sie nicht betrieben werden können. Viele Initiatoren und Investoren setzen sich daher schon während der Entwicklung mit uns in Verbindung, um den Personalbedarf frühzeitig zu planen. Wir hoffen, dass sich diese Entwicklung fortsetzt und auch wir dann besser unsere Planungen vornehmen können.
finanzwelt: Der Pflegemarkt steht vor großen Herausforderungen. Wie sehen Sie die Zukunft und welche Optimierungsansätze gibt es?
Kiefer: Wir müssen die Verwaltungsverfahren, die im Rahmen der Anwerbung von ausländischen Pflegekräften entstehen und die Anerkennungsmodalitäten verschlanken und für die Anwerbenden übersichtlicher und einfacher gestalten. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das 2020 in Kraft getreten ist, stellt bereits einen wichtigen Beitrag dazu dar. Darüber hinaus müssen wir auch Einrichtungen, die bisher noch keine Auslandsanwerbung betrieben haben, Mut machen und sie dazu ertüchtigen, eigene Anwerbeprojekte zu starten.
Oljaca: Die demographische Entwicklung führt dazu, dass in den kommenden Jahren und Jahrzehnten immer mehr Menschen auf Unterstützung angewiesen sind. Wie ich bereits sagte: Wir müssen die Pflege aufwerten und nachhaltig sichern. Dazu ist ein ganzes Bündel von Maßnahmen notwendig, die aktuell von der Politik und der Branche diskutiert werden. Ich freue mich, dass wir im Bereich der Gewinnung von Pflegefachkräften aus dem Ausland einen Beitrag dazu leisten können.